Zypper
11.04.2021, 11:07

+2Projekt 366: Open Memory

021 – Open Memory

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Als letztes der „großen Spiele auf 6x6-Karten“ kam „Open Memory“ hinzu. Seinen Platz hat es leider noch nicht gefunden; ich habe es zwar bei den BrickBits 2019 in Braunschweig auf dem Tisch angeboten,

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es fanden sich aber keine Mutigen, die es gespielt hätten. Das hat Gründe, und die werde ich darlegen. Zunächst mal: Es ist gedacht als eine Art offenes Quartett. Angebracht sind die 96 Spielkarten an drei Wänden eines zerlegbaren Turmes; jeder der drei Spieler schaut auf seine Turmwand und darf nicht schummeln, indem er etwa schaut, was der Nachbar hat. Wieder gilt es, Paare zu finden …

048 – Open Memory – Regeln

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Der Witz ist, dass die Paare hier nicht durch Anschauung, sondern nur über die Beschreibung der Spielkarteninhalte zu finden sind. Nun zählt nämlich der gesamte Inhalt der Spielkarte und nicht nur die eine Fliese, um die sich bei den „Falschen Freunden“ alles dreht. Das erfordert also ein hohes Maß an sprachlicher Abstraktion und einen griffbereiten Wortschatz.

059 – Open Memory – Noch was zu den Regeln

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Man kann das Spiel auch so spielen, dass man bestimmte Formulierungen „verbietet“. In dem Beispielsatz: „Hast du ne Karte mit so nem Pfeil da in der Mitte?“ könnte man vereinbaren, auf die Formulierung „so `nem“ zu verzichten, um Sprach- und Stilgefühl zu schulen. Zudem wird sich eine Ortsbezeichnung wie „da in der Mitte“ schnell als ungebräuchlich erweisen.

084 – Open Memory – Orientierung

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Wie leicht zu erkennen ist, verfügt jede Spielkarte über einen dunklen Punkt am Rand, der das oben und unten, das links und rechts definiert. Desweiteren ist jede Spielkarte in die Sektoren A, B, C und D eingeteilt, das hilft schon sehr weiter, wenn man eine Frage zu einer Fliese beispielsweise im Sektor A hat. Außerdem ist den Spielern ein Farbenmuster beigegeben, weil nicht von jedem der Mitspieler erwartet werden kann, dass sie die Namen der LEGO-Farben zur Hand haben. Beziehungsweise im Mund.

102 – Open Memory – Zu anspruchsvoll?

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Natürlich ist es das, warum auch nicht? Gedacht und gebaut ist es für Leute, die Spaß am Lösen kniffliger Aufgaben haben. Ich gehöre definitiv nicht dazu: Mir macht es Spaß, so was wie „Open Memory“ zu entwickeln und zu bauen – selber spielen reizt mich nicht. Das muss es ja auch nicht, und man muss ja beispielsweise auch kein Koch sein, um in einem Restaurant was zu sich nehmen zu dürfen. Und kein Koch muss von dem essen, was er da in seiner Küche zusammenbrutzelt …

128 –Open Memory – Auf Ausstellungen

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Was locker zu der Frage überleitet, was auf LEGO-Ausstellungen etwas zu suchen hat und was nicht. Obwohl eine wie auch immer geartete „Kleiderordnung“ nirgendwo definiert geschweige denn nachlesbar niedergelegt ist, haben sich von Anfang an gewisse Gepflogenheiten eingebürgert, die einem eher engen und sehr konservativen Ausstellungsbegriff huldigen. Ich versuch’s mal so: Demnach ist ein MOC die Inszenierung einer kleinen Welt, die, da vom entsprechenden Schöpfer alleinverantwortlich gestaltet, dem Ideal einer wie auch immer zu definierenden „heilen Welt“ nahezukommen trachtet. Sie gilt es, vor dem direkten Zugriff der Besucher zu schützen; jedweder weiterer Einfluss dessen, was vor dem Hintergrund einer „heilen“ Welt als „realistisch“, um nicht zu sagen: als „kaputt“ gelten kann, muss ferngehalten werden. Mit dieser Begründung beispielsweise verweigern Veranstalter Ausstellern den Zutritt, die mit MOCs ankommen, die im weitesten Sinn dem Themenkreis „Militaria“ zuzuordnen sind.

142 – Open Memory – Legitime Ansätze

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Das ist nicht etwa ein illegitimer Ansatz, im Gegenteil: es lässt sich mit guten Gründen vertreten, beispielsweise wenn die Ausstellung eines Schlachtschiffes aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges verweigert wird aufgrund dieses Gedankengangs: Ein Schlachtschiff aus dieser Zeit steht für die Ideologie dieser Zeit, das Schiff nachzubauen und auszustellen lege den Schluss nahe, dass sich erstens der Erbauer und zweitens die Aussteller diese Ideologie zu eigen machen, jedenfalls nicht von sich weisen, also zum Sympathisantenkreis zu zählen sind – wovon man zurecht und mit allen guten Gründen dieser Welt Abstand nehmen will - und sollte.

190 – Open Memory – Weitere Ansätze

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Andererseits ist diese Argumentation nicht weniger zulässig: Indem ein Erbauer sich als Vorbild für sein Modell ein Kriegswerkzeug aussucht und so genau wie möglich nachzubauen versucht, würdigt er erstens die technische Leistung der zeitgenössischen Konstrukteure, ohne natürlich zu übersehen, in welchem ideologischen Kontext diese Leistung entstanden ist.

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Hier ein völlig selbstverständlich präsentiertes Beispiel von der MEI Verona 2019.

Aber zweitens macht er etwas sehr realistisches und in unserer Welt täglich Vorkommendes begreifbar: Den Krieg. Hier zunächst in seiner ästhetischen Facette, denn sowohl Kriegsschiffe als auch Flugzeuge und Raketen sind – nur durch die Brille der Ästhetik betrachtet – doch „schöne Gegenstände“, auch wenn sie noch so sehr als Instrumente des Tötens und Vernichtens dienen sollen. Eben dieses Unbehagen löst etwas sehr Wertvolles aus: Die Auseinandersetzung mit einer nicht so schönen Seite der Welt. Gehört das nun auf eine LEGO-Ausstellung?

194 – Open Memory – Irritationen

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Wenig überraschend, dass ich an dieser Stelle vernehmlich mit „Ja!“ votiere. Auch wenn das Bemühen darum redlich und rührend ist: Auch die begrenzte und vorübergehende Öffentlichkeit einer Ausstellung ist Teil der wirklichen Welt, und deswegen gehören alle Aspekte dieser Welt – so sie denn einen AFOL finden, der sich mit diesem speziellen Aspekt auseinanderzusetzen gedenkt – auch auf eine Ausstellung. Das Argument „Aber die Kinder!“ ist nur dann von einiger Tauglichkeit, wenn es nicht die Erwachsenen sind, die die eigentliche Auseinandersetzung scheuen und die Kinder vorschieben, weil sie keine Lust haben, denen zu erklären, wofür man beispielsweise ein Kriegsschiff braucht. Für diese Diskussion ist kein Kind zu klein, und nirgendwo nimmt man in einem der Kriegsgebiete dieser Welt Rücksicht auf die Frage, ob Krieg denn wohl „etwas für Kinder ist“. Wo man das Publikum erreicht, sollte man es durch solche Einladungen zum Gespräch ansprechen.

Jede Diskussion ist besser als jedes Schweigen, jedes Zeigen eines MOC besser als jede Zensur.


Mit Gruß und Dank
Zypper

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Über das Projekt 366 bei FlixBrix
Zypper im LEGO-Intranet
Zypper im SWR-Treffpunkt "Sammelleidenschaft" ab Minute 8.
Zypper bei flickr
Zyppers Werke in einer Diashow 1989-2020


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