Zypper
10.04.2021, 19:06

+6Projekt 366: Falsche Freunde

013 – Falsche-Freunde-Rohling

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Zu den größten Publikumserfolgen gehört die Erfindung des Suchspiels „Falsche Freunde“, bei dem Mitspieler aufgefordert sind, auf den 64 Spielkarten Paare zu finden. Im Gegensatz zu einem normalen Memory werden die „Falschen Freunde“ offen gespielt – und es zählt nur eine einzige Fliese als „Paar“; die auf einer anderen Spielkarte eine exakte Entsprechung hat: Gleiche Farbe, gleiche Form, gleiche Position. Die Schwierigkeit besteht darin, dass auf den ersten Blick „alles gleich“ aussieht und es unmöglich erscheint, auch nur eine einzige Gemeinsamkeit zu finden. Aber es gibt sie, und wenn man sich darauf einlässt und der Typ dafür ist, kommen schöne Momente der Kontemplation und der Entdeckerfreude auf einen zu. Der „Rohling“ hier ist völlig simpel: Eine 6x6-Platte, gerahmt von schwarzen Fliesen, mit einer einzigen weißen 1x1-Fliese in einem der vier Winkel: Dieser weiße Punkt gibt Orientierung und macht die Spielkarten miteinander vergleichbar.

022 – Falsche-Freunde-Rohling mit Boden

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Begeistert war ich von Anfang an von diesen „Negativ-Fliesen“, mit denen man endlich einmal eine Unterfläche gescheit gestalten konnte. Sie haben nur den einen Nachteil: Schon auf dieser vergleichsweise winzigen 6x6-Fläche biegen diese Fliesen die Ecken nach oben, jedenfalls liegt die Spielkarte nicht plan auf dem Tisch.


029 – Falsche Freunde – Spielkarte

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So also sehen die Spielkarten aus, die Menge der Fliesen auf der zentralen 4x4-Fläche variiert naturgemäß. Dies ist nun übrigens die barrierefreie Version, die ich extra gebaut habe, um auf eine völlig berechtigte Kritik eines Mitspielers ich glaube es war auf der FanWelt 2016 in Köln*, zu reagieren. Der „große Bruder“ dieses Spiels, also die etwas ältere Version, ist „in Farbe“ ausgeführt – was jedoch alle jene Mitspieler behindert, die’s nicht so mit den Farben haben und für die vieles in ein ununterscheidbares braungrau getaucht ist, was wir „Normalsehenden“ klar in Rot und Grün scheiden können. Aber was ist schon normal? Die dreiköpfige Familie (junge Mutter mit zwei Schulkindern), die mich in besagtem Köln an einem frühen, verkaterten Sonntagmorgen überfiel und zu spielen verlangte, war komplett gehörlos. Leicht vorzustellen, dass mir dieser Besuch einiges abverlangte, aber auch wiederum sehr vieles, Unbezahlbares geschenkt hat. Seither habe ich die Spielregeln ausgedruckt und einlaminiert zur Hand – wenn’s sein muss, auch in der Landessprache.

030 – Falsche Freunde – Spielkarte

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In dem Stil also breiten sich die Fliesen auf den Spielflächen aus. Inzwischen schon auf etlichen Ausstellungen im In- und Ausland erprobt, spricht dieses Suchspiel die Leute auf ganz unterschiedliche Art und Weise an. Die einen setzen sich sofort, vertiefen sich und vergessen in einer Art Trance Zeit und Raum um sich. Andere raufen sich die Haare, klagen ständig, dass sie das nicht können, schaffen es aber auch nicht, sich loszureißen. Wieder andere treten kurz heran, hören, um was es geht und finden in Sekunden ein Paar, das ein anderer Kandidat in 40 Minuten nicht gefunden hat…

060 – Falsche Freunde – Spielkarten – Von Vätern und Söhnen

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Schön zu beobachten sind auch Familien, hier insbesondere Väter mit ihren Söhnen. Wie es die Jungen genießen, ihren Papa für ein paar Momente – es sind ja nur kurze – ganz für sich zu haben. Wie sie sich auf seinen Schoß schmiegen, wie eine gemeinsame Aufgabe sie kurzfristig eint, ohne dass sie reden müssen. Wo jeder der beiden dem anderen nichts voraus hat, wo jeder selber im wahrsten Sinne „gucken“ muss, wo er abbleibt.

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Hier ein Beispiel aus Verona auf der Model Expo Italy, März 2019

Und die Väter? Was mag in ihnen vorgehen, wenn sie endlich einmal dazu kommen, sich die oft versprochen Zeit tatsächlich einmal zu nehmen für ihren Nachwuchs? Denn sicher sind die meisten von ihnen die Woche über in wichtige Geschäfte verwickelt, gehen früh ins Büro, kommen spät heim, kriegen nichts mit von dem, was in der Welt ihrer Kinder geschieht. Und während so ein Vater-Sohn-Paar so vor mir sitzt, kann ich mir alles Mögliche zu ihnen ausmalen. Das wenigste wird stimmen, ich weiß. Aber was sie mir geben, ohne es zu wissen, das ist kostbar! Das geschenkt zu bekommen lohnt die weiteste Anreise!

089 – Falsche Freunde – Spielkarte – Von Familien (1)

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Interessant sind auch, Familien beim gemeinsamen Spiel zu beobachten. Bisher ist es noch jeder von ihnen gelungen, ihre selbstverständlich vorhandenen Konflikte mitzubringen: das jüngste Kind, am liebsten ein Mädchen, findet die Paare reihenweise, sehr zum stummen Ärger der Größeren, deren Hirn sich schon zu sehr von dem der Schwester unterscheidet und gegen das gehalten sie keine Chance mehr haben. Und wie sie dann die Mutter feiern, die ratlos danebensteht und zur Überraschung aller doch ein Pärchen findet. Doch stimmt das wirklich? Ist die Frau Mama nicht auf eine Fehlpaarung hereingefallen? Streng wird da geurteilt, wenig schmeichelhaft klingt manchmal, was manch arme Frau da an Kommentaren einstecken muss!

120 – Falsche Freunde – Spielkarte – Von Familien (2)

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Gibt aber auch welche, die treten als echte Teams auf und knacken das Rätsel gemeinsam, lassen sich nicht beirren, nicht helfen, versinken völlig in einer Faszination, die kein größeres Kompliment darstellen kann für meine vergleichsweise kleine Arbeit. Aber für solche Familien wie die aus der Schweiz in Frauenfeld 2016, gleich bei der Premiere im Rahmen der SteinCHenwelt, für solche habe ich gearbeitet: Auch wenn nur noch 6 Karten auf dem Tisch liegen, finden sie die Paarungen nicht, denn seltsamerweise wird dieses Spiel schwieriger, je weniger Auswahl auf dem Tisch liegt.

150 – Falsche Freunde – Spielkarte – Von Gehandicapten

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Reagieren muss ich sofort, wenn ich erkenne, dass ich spezielle Gruppen von Kindern oder einzelne vor mir habe, die es nicht so leicht haben im Leben wie die, die wir in unserer Beschränktheit „normal“ nennen. Man kann das Spiel nämlich jederzeit variieren und die Suche steuernd ein wenig eingrenzen, es muss ja überhaupt nicht bis zum bitteren Ende gespielt werden. Bei diesen fünf Karten beispielsweise könnte man fragen, ob das Kind weiß, wie ein Pfeil aussieht und dann gezielt nur nach diesem Pfeil suchen. Oder nach den fünf Augen. Denkbar ist auch, die Spielkarten vorzusortieren, sodass man die Suchfläche eingrenzen kann: Jetzt schaut mal nur auf diese eine Linie von Karten, die da vorne, direkt vor eurer Nase. So in etwa.

181 – Falsche Freunde – Spielkarte – Von Kreativen

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Das sind diejenigen, die sich um die Regeln nicht scheren und ihre eigenen machen, ach, wie gut kann ich sie verstehen! Einer der liebsten war mir der Junge, der beim Mensa-Jahrestreffen in Hamburg 2019 das Spielfeld kurzerhand umgepflügt und nach weniger streng symmetrischen Gesichtspunkten neu gestaltet hat. Oder Mädchen, die Paarungen nach ganz eigenen Kriterien finden, diese aber für sich behalten, viel lächeln, viel spielen, dann die Stapel einfach zurücklassen und im Getrubel verschwinden und nie mehr wiederkommen …

210 – Falsche Freunde – Spielkarte – Von der Langeweile des Spiels

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Aber so lange meinem Publikum das Spiel nicht langweilig wird und ich auf den unterschiedlichsten Ausstellungen an den unterschiedlichsten Orten immer wieder auf Leute treffe, die sich gern darauf einlassen, so lange werde ich das Spiel im Angebot halten. Denn ich kann kein Maßstab für die Beurteilung des Suchspiels sein, das obliegt den Spielerinnen und Spielern. Dann und wann wechsele ich einzelne Fliesen aus, wenn sie mir selber zu langweilig geworden sind oder wenn ich Doppelungen reduzieren kann. Wie es ja überhaupt eine nicht zu unterschätzende Arbeit war, die 32 Paarungen völlig fehlerfrei hinzukriegen.

239 – Falsche Freunde – Spielkarte – Von Fehlern im Spiel

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Den ersten Prototyp baute ich zu Weihnachten 2015 und probierte ihn mit meiner Nichte, meinen Neffen und meiner Tochter aus. Die Premiere geriet derart katastrophal, dass ich praktisch von vorne anfangen musste mit der Verteilung der Fliesen. Denn Ziel ist ja, jede Paarung nur genau einmal zu erzeugen, und die Herausforderung besteht darin, keine „Doubletten“ zu produzieren. Darunter verstehe ich eine Paarung, die nicht vorgesehen ist, denn wenn ich diese „finde“ und vom Spielfeld nehme, bleiben zwangsläufig Karten zurück, die keinen Partner mehr haben. In der ersten Zeit, als das Spiel noch relativ neu war und ich die Paarungen längst noch nicht alle auswendig kannte, hab ich gerade beim Finish ziemlich mitgefiebert, ob das Spiel wirklich „aufgeht“. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist tatsächlich irgendwo ein Fehler, der dann jedoch schnell gefunden werden kann.

264 – Falsche Freunde – Spielkarte – Vom Verkaufen

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Nicht selten kommt es vor, so ein- bis zweimal im Jahr, dass ich gefragt werde, ob man das Spiel kaufen kann. Und ob ich schon einmal versucht hätte, dafür einen Verlag zu finden, einen Spieleverlag. Tatsächlich hatte ich in der Erprobungsphase des Spiels Anfang 2016 die Gelegenheit, mit einem erfolgreichen und erfahrenen Profi-Spieleentwickler darüber zu sprechen. Diesem fiel als klarer Schwachpunkt der geringe „Spielwert“ auf – es braucht keine Taktik, nur gute Augen – und die Chancen, dafür einen professionellen Verlag zu finden, schätzte er als gering ein. Das erste aber - das wusste er - was man mir vorschlagen würde, wäre gewesen, das Spiel auf Pappe anzubieten, da Versionen in LEGO viel zu viel zu teuer geworden wären. Mit einer Version auf Pappe hingegen würde ein Großteil dessen, was den Reiz ausmacht, verlorengehen: Es ist eben das Material selbst; es ist, weil es LEGO ist, aus dem es gemacht ist. Das kann theoretisch jeder bauen, der zuhause halbwegs gut sortiert ist – und es gibt inzwischen etliche Leute, die auf Ausstellungen Fotos von dem Spiel gemacht und sich für zuhause einen Nachbau vorgenommen haben. Ich habe nie wieder von ihnen gehört …

290 – Falsche Freunde – Spielkarte – Vom Steinezählen

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Eng verbunden mit der Frage nach einer Kommerzialisierung des Spiels ist die Frage nach der Anzahl der verwendeten Steine. Da nähern wir uns schon ein wenig einer der Gründe für das Projekt 366 an: Die alte Frage nach der Menge der verbauten Steine zum eigenen Thema zu machen. Gern stelle ich daher diese Frage als kleine Kopfrechenaufgabe an kleine und große Teilnehmer. Wir zähen: 1 6x6-Platte plus 9 2x2-Negativ-Fliesen, plus 8 1x2-Fliesen plus 4 1x2-Fliesen für den Rand. Bei der „Füllung“ kann man nun spitz vorgehen, oder man schätzt, indem man auf eine Zahl zwischen 7 und 8 Fliesen für die Spielfläche kommt. Macht pro Spielkarte zusammen also ungefähr? Und das – im Kopf – multipliziert mit 64, und wir haben eine ziemlich genaue Vorstellung von der Menge. Oder?

321 – Falsche Freunde – Spielkarte – Vom Beklautwerden (1)

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Es ist mein Problem, wenn ich dieses Spiel offen auf einem frei zugänglichen Tisch liegen lasse, nur notdürftig abgedeckt von einem Tüchlein, und am Ende des Tages „fehlt was“. Zum Glück ist dies nur einmal passiert, dafür gleich bei der Premiere 2016, und ausgerechnet in der Schweiz. Ich weiß noch von dem Entsetzen im Gesicht des Veranstalters, eines Namensvetters, der wirklich nicht auf den Mund gefallen und um eine launige Bemerkung nie verlegen ist, als er das erfuhr: Ihm stand der Mund offen und er konnte nicht fassen, was passiert sein sollte: Zwei Spielkarten weg? (Natürlich kein Paar, klaro). Ich habe sogar die Lokalpresse eingeschaltet damals und wirklich diplomatische Worte gewählt: Sicher waren es Kinder, sicher haben sie gedacht, sie könnten sich bedienen usw – Aber knallhart machten sie daraus „Diebstahl“ – und sahen sich verständlicherweise außerstande, mir zu helfen. Na ja, wieder zuhause war der Schaden im Handumdrehen beseitigt …

351 – Falsche Freunde – Spielkarte – Vom Beklautwerden (2)

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Schlimmer war es da schon in Nantes, als man mir von den Figuren, die die Spielebox verzieren, welche vom Stand wegadoptiert hat. War zwar blöd, aber ich war nicht unschuldig: was überlasse ich aber auch spezielle bedruckte und nur für mein Team Zypper angefertigte Figuren so fahrlässig unbeaufsichtigt am Stand ihrem Schicksal? Andere Leute haben auch Augen im Koppe, gell? Verschwunden ist seither also einer der Figuren in der Elsässischen Tracht. Ist sie jemandem untergekommen?


Mit Gruß und Dank
Zypper

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Über das Projekt 366 bei FlixBrix
Zypper im LEGO-Intranet
Zypper im SWR-Treffpunkt "Sammelleidenschaft" ab Minute 8.
Zypper bei flickr
Zyppers Werke in einer Diashow 1989-2020


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