Zypper
08.04.2021, 11:34

Als Antwort auf den Beitrag von 5N00P1

+8Der "gute Stress" bei Dreharbeiten

5N00P1 hat geschrieben:


Zum einen muss man sich den Stress ans Bein binden, mit dem Fernsehen, ...


Hi, 5N00P1,

sagen wir so: es ist im weitesten Sinne „guter“ Stress:

Da kommt zunächst der freundliche und aufgeschlossene Redakteur zu einem Vorgespräch vorbeigeradelt. Für diesen Termin musst du natürlich Zeit haben, und ein Käffchen solltest du schon auf den Tisch stellen, und viel vorhaben solltest du anschließend auch nicht, schließlich weißt du nicht, wie lang das Gespräch dauern wird. Du machst mit dem staunenden Mann einen ausführlichen Rundgang und zeigst ihm auch die Stellen deines LEGO-Reiches, die er am liebsten auf der Stelle der Welt weiterzeigen würde, was du aber am liebsten vermeiden möchtest, aber sie ihm zeigen, das solltest du schon, schließlich bittet er sehr nett darum.

Während des Gespräches disponiert er um und erklärt angesichts der Köder, die du ihm auf den Tisch gestreut hast, dass der Beitrag nun doch ausschließlich von dir und deinem Zeug handeln solle, also nicht mit allen drei Herren vom Vereinsvorstand zuzüglich des Moderators: Der Fokus soll nun ganz allein auf dir und deinen Werken liegen. Hörte sich ganz zu Anfang zwar ein bissl anders an, aber wenn man mit Medienleuten zu tun hat, sollte man über eine gewisse Flexibilität verfügen und nicht allzu zimperlich sein.

Nachdem besprochen ist, was ungefähr zu sehen sein soll, wird ein Termin für den großen Tag des Angriffs auf deine Privatsphäre festgelegt. Du solltest zunächst deine Bude bissl aufräumen und zumindest im Bad die Abteilung Villeroy&Boch putzen, denn wenn ein paar fremde Leut’ für ein paar Stunden zu Besuch kommen, muss man ja schon damit rechnen, dass von denen mal wer aufs Töpfchen muss. Völlig abgesehen davon, dass es die Bude grundsätzlich immer mal nötig hat, entstaubt und entspinnwebt zu werden – die Zeit fürs Putzen jedenfalls vergeht an dem Tag nicht am Bautisch – und sie kommt nicht wieder.

Dann musst du das Zeug aus dem Keller holen, was dort schon recht lange in seinen Kisten geruht und eine Renovierungsattacke von robusten und staubtoleranten Handwerkern zwar überstanden, aber dennoch reichlich verdreckt überstanden hat. Kalkuliere mal für den Aufbau plus Reinigung zwei Arbeitstage brutto ein, damit liegst du ganz gut, möglicherweise hast du auch noch einem Broterwerb nachzugehen, und der erledigt sich ja auch nicht von allein.

Dann kommen die beiden Autos mit den interessanten Aufschriften vorgefahren, und zwar früh, was den Nachbarn nicht verborgen bleibt, denn es handelt sich um öffentrechtlichen Rundfunk, da ist man organisiert und weiß, wie man einem langen Drehtag Struktur verpasst.

[image]


So elegant eingeparkt!

Dann geht’s los; Schuhe dürfen alle anbehalten, Masken selbstredend auch, und deine Bude wird mit schwerem Gerät geflutet: Kisten, Kasten, Kabel, Kram werden mit Schwung bewegt, während deine filigranen MÖCchen ungeschützt herumstehen und hoffentlich nix abkriegen von dem Schwung.

[image]


[image]



Von 100 Minuten des Drehtages sitzt du 80 wartend herum und musst die Klappe halten bzw Kaffee kochen, denn bis die Einstellung gefunden, das Licht gerichtet, der Ton geprüft ist und noch mal was aus dem Auto geholt ist, dauert’s halt, und es soll ja bissl ordentlich werden, was dabei rauskommt.

[image]


[image]


In den 20 Minuten, in denen du irgendwas „tun“ kannst und was Brauchbares sagen sollst, läuft für vielleicht 5 die Kamera, und von diesen 5 Minuten erscheint vielleicht 1 im Beitrag, und die ist schließlich stark gekürzt. Äußerste Disziplin und ein wenig Dreh-Erfahrung deinerseits und ein eingespieltes, erfahrenes Fernseh-Team andererseits vorausgesetzt, und ihr kommt an dem Tag mit relativ wenigen Wiederholungen aus. Das wünscht du dir nicht, anders kennenzulernen! Denn nie sagst du etwas beim zweiten Mal so, wie du es beim ersten Mal gesagt hast, aber da ging etwas „so mit dem Licht nicht“, und ab der fünften Wiederholung verwandelst du dich in Erwin Lottemann.

[image]


Nochmal, bitte!

Hunger kriegt die kreative Truppe, die heut bei dir zu Gast ist, gegen Mittag selbstverständlich auch, denn kreativ sein macht hungig, wem sag ich das? - und du hast – willst dich ja nicht lumpen lassen – ein Süppchen vorbereitet. Nichts Großes, aber von selbst hat sie sich auch nicht gerade gemacht. Für deine Gäste ist sie einfach da und ist sehr gut, und soviel Spül auf einmal hat deine Küche seit der letzten Party vor gefühlten Jahrzehnten nicht mehr gesehen; du weißt also schon mal, was du „nachher“ noch zu erledigen hast.

Das „Nachher“ beginnt, wenn am späten Nachmittag – es dämmert schon – nach gut acht Stunden endlich Feierabend ist, und nun liegt’s an dir, ob du das alles gleich wieder wegräumen oder dir noch ein wenig Zeit lassen willst damit. Schließlich siehst du so viele deiner MOCs auf einmal aufgebaut auch nicht alle Tage. Wann auch immer: erwarte nicht, dass das Wegräumen wesentlich schneller geht als das Hinräumen. Unterm Strich mit allem Drum und Herum geh mal von 5 Tagen brutto aus, an denen du deinen Bautisch nur von Ferne siehst.

Nun kannst du einwenden: Warum tust du dir das an? Warum sagst du nicht einfach Nein, wenn „der SWR“ anruft und bei der Recherche für die Sendung auf deinen Verein gekommen ist? Dieser Verein, dem du so gut wie alles verdankst, was dich in Sachen LEGO – mit Verlaub und in aller Bescheidenheit: groß gemacht hat in Stuttgart und dir Ausstellungen im In- und Ausland ermöglicht hat: Dieser Verein bittet dich, die Sache zu übernehmen, und da sollst du es fertigbringen und einfach Nein sagen? Wo ich doch über ein so ein schönes großes Atelier verfüge, in dem solche familien- und partnerfeindlichen Sausen wie eintägige Dreharbeiten ohne Weiteres steigen könnten?

Ach ja, und die Sache mit der Bildunterschrift. Das eische K-Wort, das bei 1000steine doch immer wieder einen so starken antiintellektuellen Reflex erzeugt: Es hat einen handfesten Hintergrund. Der Verein Schwabenstein 2x4 e.V. ist laut Satzung gemeinnützig. Das heißt: Er verfolgt einen Zweck, der der Allgemeinheit dient, und das findet der Gesetzgeber unterstützenswert: Die ehrenamtlich Tätigen – wenn sie denn schon nicht entgolten werden können für ihre zeitraubende und oft genug wenig mit LEGOBauen zu tun habende Arbeit - dürfen bestimmte Aufwendungen von der Steuer absetzen, die ihnen im Zuge der Vereinsarbeit entstehen. Dieser Zweck ist die Förderung von Kunst und Kultur. Das hat uns eine überaus kooperative Finanzbeamtin quasi in die Satzung diktiert. Sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht sehr von ihrer Berliner Kollegin, die ich im Rahmen der Gründung des Vereins Berliner Steinkultur Anfang 2012 kennenzulernen das unersprießliche Vergnügen hatte. Was ich sagen will: Dieses Steuerprivileg erhält man nicht von ungefähr, dafür muss man was tun, denn als gemeinnütziger Verein führt man gläserne Kassen und steht unter Laufüberwachung des Finanzamtes. Und dieses fordern dann und wann einen Nachweis künstlerischer Tätigkeit - und sei es in Form dieser Bildunterschrift. (Gegen die ich mich nicht gewehrt habe, mea culpa!) Diese Untertitelung wagt keine Aussage darüber, ob ich nun tatsächlich ein K. bin, aber zumindest sieht es nach allem Anschein danach aus. Das reicht unserem Stuttgarter Finanzamt. Das ist hier nicht so päp wie das in Berlin.


Mit Gruß und Dank
Zypper

[image]


Über das Projekt 366 bei FlixBrix
Zypper im LEGO-Intranet
Zypper im SWR-Treffpunkt "Sammelleidenschaft" ab Minute 8.
Zypper bei flickr
Zyppers Werke in einer Diashow 1989-2020


IngoAlthoefer , , Ferdinand , n3t3rb , SuklaaTalvella , Ansgar396 , Walton , Schwabenstein2x4 gefällt das (8 Mitglieder)


Gesamter Thread: