Zypper
25.10.2016, 15:16

Als Antwort auf den Beitrag von IngoAlthoefer

Editiert von
Zypper
25.10.2016, 15:19

Re: Zeig dein Gesicht

Hallo zusammen,

Andreas sollte sich nicht zu schade sein, darauf zu antworten.


Bin ich ja auch nicht, im Gegenteil. Doch ebenso, wie ein Autor gut beraten ist, seinen Text für sich stehen und sprechen zu lassen, möchte ich hier weniger zu meinem Werk selber sagen, sondern doch noch etwas über die Umstände der Entstehung der Idee und über die Ausführung des Projektes nachschieben.

Zum Werk gehört eine Performance, d.h. eine barfüßige Begehung des Objektes durch mich mit anschließender Rezitation des Gedichtes "Enigma - Rätsel. Aus der Zeit der Ariosi" von Ingeborg Bachmann und der daran anschließenden Einladung, sich ebenfalls ohne Schuh und Strümpfe der Erfahrung eines Spaziergangs auf der großen grauen Noppenfläche auszusetzen. Der Bezug zur berühmten (und von mir sehr verrehrten) österreichischen Autorin (1926-1973) ergibt sich aus dem neunzigsten Geburtstag, den Besagte heuer gefeiert hätte und aus dem gastgebenden Haus, das ihre Werke selbstverständlich zugänglich hält.

Es gab insgesamt zwei Durchgänge; für den zweiten nach Verleihung der Preise wurde das Licht im Herzraum so weit wie möglich gelöscht, und die Performance fand - von meiner Tochter Yolanda (11) musikalisch auf der Blockflöte begleitet - im Dunkeln statt. Ich hatte zunächst mit einer starken Taschenleuchte die Glow-in-The-Dark-Steine zum Glühen gebracht, die sowohl an den Murmeltürmen als auch wie gesagt am Rand des zentralen Objektes angebracht waren bzw sind. Bei völliger Dunkelheit wäre der Effekt sicher noch größer gewesen, jedoch waren Sicherheitsauflagen zu beachten; im Übrigen war der zweite Durchgang von sehr viel mehr Publikum beobachtet als beim ersten Mal. Obwohl natürlich in Details immer verbessert und am Auftritt geschliffen werden kann, bin ich insgesamt mit der Resonanz sehr zufrieden: Das Werk hat Aufmerksamkeit erzeugt. Es erschien sozusagen aus dem Nichts, war ein paar Tage "da" und verschwand dann wieder. Nur diese paar Fotos zeugen davon, dass "es" stattgefunden hat. Genau darauf kommt es mir ja an, denn Kunst soll mMn nichts bedeuten, sondern sein. Das, was der Einzelne drin sieht: Das soll es sein. Nichts anderes. Mir ist bewusst, dass ich mich mit dieser Öffnung zum Dialog angreifbar und vereinnahmbar mache, aber ebenso ist mir bewusst, dass ich das eben aushalten oder auf die öffentliche Präsentation meiner Vorstellungen von einem gelungenen MOC künftig eben verzichten muss.

Zur Entstehung: Als ich im Mai einen Ausflug ins schweizerische Dornach zu Martin n3t3nb unternahm, besuchten wir auch den Neubau des Kunstmuseums Basel. Dort war ein begehbares Bodenkunstwerk des schon erwähnten Carl Andre ausgestellt, und ich hatte spontan Lust, einen "Nachbau" eines seiner Werke in LEGO zu versuchen. Ich fand das insofern legitim, als dass "Bauen nach einem Vorbild" unter AFOL zu den anerkannten Disziplinen gehört, mit seinem LEGO etwas zustande zu bringen. So entschied ich mich für 10 x10 Altstadt Lead Square von 1967 und fragte beim Museum an, ob man mit einer Kopie in LEGO einverstanden wäre. In dem sehr freundlichen, grundsätzlich positiven Antwortmail verwies man mich jedoch an die VG Wort, um die endgültige Zustimmung zu erringen, doch die VG Wort musste erst über ihr amerikanischen Pendant beim Künstler persönlich nachfragen (Andre ist 81 Jahre alt und seit Jahren im Ruhestand). Von dort kam dann zu meiner Enttäuschung die erwähnte Absage.

Wissen muss man noch, dass mir zu diesem Zeitpunkt im Sommer bereits bekannt war, dass wir mit dem Verein im Oktober im Rahmen des Familientages in der Stadtbibliothek für das Rahmenprogramm zuständig sein sollten: Teil des Programms sollte auch eine „kleine“ LEGO Ausstellung werden. Elektrisiert von der Vorstellung, den über vier Stockwerke in die Höhe sich erstreckenden und „völlig leeren“ Herzraum bespielen zu können, hatte ich spontan die Idee, mein bereits auf der Mitgliederversammlung bei Bricking Bavaria vorgestelltes Projekt „Open White“ zu präsentieren. Auch dies wäre lediglich der Nachbau eines Unternehmens gewesen, das schon vor Jahren ein gewisser Ratz unter dem Titel "offener raum" hier auf TS veröffentlicht hatte. Da es mir bis heute nicht gelungen ist, Kontakt zu diesem AFOL aufzunehmen, hätte ich das Risiko eingehen müssen, ohne seine Zustimmung bei ihm abzukupfern. Da wäre mir aber gar nicht wohl bei gewesen! Zugegeben: Ich hätte natürlich ausschließlich weiße Steine in die durchsichtigen Kästen gefüllt und einen schwarzen Teppich genommen, der das Format 4x4 Meter hätte haben sollen. Doch durch den regen Steinverbrauch, der mit dem Bau der beiden Murmeltürme einherging, hatte ich im Sommer keine Steine in einer Zahl zur Verfügung, mit der ich „Open White“ hätte verwirklichen können. Im Übrigen ist der Frage, ob ich eine genügend große Schöpfungshöhe hätte für mich beanspruchen können, um das Werk als etwas „Eigenes“ zu reklamieren.

Die Enttäuschung wegen der Absage währte in der Tat nicht lange, und schon bald hatte ich eine Lösung gefunden, die ich dann auch wie besehen umgesetzt habe. Beim Aufbau letzten Freitag ist mir zudem bewusst geworden, in welche Schwierigkeiten ich geraten wäre, wenn ich die 100 Platten so nebeneinander hätte legen wollen, dass die Noppen auch über die Plattenkanten hinaus bebaubar geblieben wären. Es muss ja immer so eine hauchdünne Ritze freibleiben, damit’s passt, und ohne die weißen 6x6-Platten hätte ich mit Lasermessgerät und Teppichkleber arbeiten müssen, um die Platten auf Linie zu legen. Hinzu kommt noch: Als ich mit dem Aufbau gerade fertig war, fiel mit auf, dass ich die Abdeckung des Brunnens, der ansonsten im Herzraum der alleinige Hauptdarsteller ist, anzubringen vergessen hatte. Aber ich konnte das Kunstwerk zum Glück in einem Stück ein paar Meter zur Seite schieben, um die Abdeckung anzubringen. Das war zwar ein Akt sondergleichen, weil das Werk über 30 Kilogramm wiegt, aber er hat sich gelohnt, denn nun konnte ich gefahrlos auf den Platten herumstolzieren, ohne in der Mitte "einzubrechen" und nasse Füße zu kriegen :-)

Als ich mir also Gedanken machen musste, wie ich die Fläche also gestalten wollte, um sie von Carl Andres Werk unterscheidbar zu machen sowie um eine genügend große Schöpfungshöhe zu erreichen, fiel mir wieder ein Beitrag ein, der vor ein paar Jahren bei Klonblog zu sehen war. So entstand also aus verschiedenen Quellen und zu unterschiedlichen Zeiten dieses Werk, dessen Titel auf das anspielt, was ich ursprünglich hatte machen wollen. Und nun möchte ich vom geneigten Publikum wissen, inwiefern mir das gelungen ist – wenn überhaupt, und was natürlich.

Gruß und Dank für die Aufmerksamkeit!
A


Mit Gruß und Dank
Zypper

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