ratz
26.02.2008, 18:48

+5grossprojekt: "offener raum" (bild & text)

liebe gemeinde,

nach reiflicher überlegung diesmal ein etwas grösseres projekt von mir, ich nenne es "offener raum"*:

totale:

[image]



detail 1:

[image]



detail 2:

[image]




mehr bilder gibts auf meiner brickshelf-galerie leider nicht.

cu, r.



* ein paar worte für die sicherlich wenigen, die noch einen fingerzeig wünschen:

zu diesem projekt inspiriert wurde ich durch zwei quellen: zum einen von dem stück 4'33'' von john cage (unter related gibts auch eine hörenswerte orchesterfassung). ich habe den gedanken der absenz des eigentlich erwarteten, der musik, bei gleichzeitiger präsenz aller notwendigen voraussetzungen (musiker, instrument, publikum), auf die vorliegenden legosteine übertragen, die in aller möglicher form und farbe wohl vorhanden sind und, zusammen mit dem betrachter und potentiellen baumeister sowie dem ausreichenden platz zum bauen, eine ähnlich aufgeladene situation herstellen, i.e. die pure möglichkeit des bauens.
dass dabei nicht spezifiziert ist, welcher art das - im möglichkeitsmodus verbleibende - moc schliesslich sein mag, welches sujet erschlossen wird, wie gross es wird, und welche techniken verwendet werden, entspricht genau der notwendigen offenheit und dadurch erzeugten spannung, die auch 4'33'' erzeugt. ein wesentlicher unterschied ist natürlich, dass im letzteren der performanzaspekt das dominierende moment ist, das in der strikten zeitlichen begrenzung zum ausdruck kommt, während im "offenen raum" vielmehr das ausstehende resultat die hauptrolle spielt: begrenzend wirkt hier die menge und vielfalt des materials und das ausmass des umgrenzten raumes, zumindest in der grundfläche. - die übertragung des möglichkeitsmodus von der einen in die andere dimensionssphäre mag nicht unproblematisch sein und wäre sicherlich besprechenswert.

zum anderen kam mir die ursprünglich in der sprach- und literaturwissenschaft angesiedelte strukturalistische theorie roman jakobsons zu hilfe, in welcher, dem saussureschen modell folgend, die elemente der sprache im feld der paradigmatischen (=auswahl-)achse und der syntagmatischen (=anordnungs-)achse verortet werden (ausführlich dargelegt hier). im tatsächlichen (sprachlichen) code dann liegt nur noch die syntagmatische eben in praesentia, die paradigmatische freilich in absentia vor. - analog dazu kann die fülle der möglichen mocs als paradigmatisches kontinuum (wer muss hier nicht an platon denken) gedacht werden, nur das diese eben nicht syntagmatisch verwirklicht und damit der festschreibung anheim gegeben werden.
der betrachter ist damit im fall des "offenen raumes" zurückgeworfen auf seinen möglichkeitssinn (um mit musil zu sprechen) und kann all die paradigmatisch zuhandenen elemente nach massgabe der äquivalenz durch selektierende und substituierende operationen ad libitum untereinander in relation bringen. dass ihm, dem betrachter, die chance zum tatsächlichen übertragen seiner auswahl in eine faktisch präsente anordnung (d.h. als moc) verwehrt bleibt, setzt ihn in den stand der anhaltenden reflexion über die im prinzip kontingenten und unendlichen möglichkeiten der legoelemente.
der legostein funktioniert also als ein rein intellektuelles movens.

noch kurz zur umsetzung: es ist unbestreitbar, dass in meiner umsetzung noch nicht alle potentiale ausgeschöpft wurden. theoretisch ist das projekt in jeder beliebigen grösse umsetzbar, und vermutlich steigt mit der grösse proportional die wirkung, die auf photos nur schlecht nachzuvollziehen ist (jeder kann diese installation zuhause nachstellen - zur reproduzierbarkeit des legosteins hab ich mich dereinst ausgelassen). wichtig ist der strikt monochrome untergrund und die umgrenzung der fläche mit einer beliebigen fülle von material. natürlich darf auch auf keinen fall gebaut, sondern nur reflektiert werden!


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Seeteddy
26.02.2008, 20:03

Re: grossprojekt: "offener raum" (bild & text)

Mein lieber ratz (ohne rübe),

gebannt stehe ich vor diesem Kunstwerk - zunächst sprachlos - aber das ändert sich dann leider...

Ein Vergleich mit John Cage's 4'33" ist hier natürlich nicht möglich, bzw. angezeigt, da es sich dort um Zeitgenössische E-Musik handelt. Ein Thema, mit dem umzugehen, die Menschheit sich bereits gut funktionierende Abwehrmechanismen hat aneignen können > z.B. Musikkritiker: "Um dieses Werk exakt beurteilen zu können, müsste man es mindestens drei mal gehört haben; aber ein zweites Mal höre ich mir diesen Mist nicht an!"
Oder Gerard Hoffnung, der in seinen unsterblichen Konzerten die Musik so trefflich karrikierte, ließ 1959 zwei deutsche Musikprofessoren zu Wort kommen, um Bruno-Heinz Jaja's Werk Punkt-Kontrapunkt zu besprechen; und kam da ebenfalls zum Höhepunkt, als erklärt wurde, die Pause wäre im 3/4 Takt!

Deshalb schnell zum Projekt "offener raum".
Das erste Bild geht nun schon mal gar nicht! Ich meine für den Betrachter. Was ist das für ein Milch-Sahne-Joghurt-Fleck auf dem Teppich, in der horizontalen Teilung des goldenen Schnitts und vertikal auf 52,5% ?
Schnell versuche ich virtuell einen Turm an dieser Stelle zu bauen - aber die Teileauswahl ist für das Projekt eher ungünstig - auf halber Höhe reiße ich daher, wütend, den Turm wieder virtuell ein! Die einzig mögliche Art, sich mit dem ersten Bild zu beschäftigen, ist es zu ignorieren!

Da geht das zweite Bild schon etwas eher - aber die Irritation mit dem "schreienden" Baumaterial im Vordergrund, das unbedingt verbaut werden möchte, läßt in mir auch keine Ruhe aufkommen.
Endlich komme ich zum dritten Bild - und finde die ersehnte Entspannung! Das Baumaterial ist so unscharf in den Hintergrund gerückt, dass es die große offene Weite nicht mehr stört - jetzt kann ich das Werk endlich in Ruhe genießen!

Es besteht die Gefahr, dass man nun, von weniger Kunstbeflissenen, für bekloppt gehalten wird - aber das darf den wahren Künstler niemals stören!

Ich hoffe, dass das dritte Bild in die Auswahl zum "MOC des Monats" aufgenommen wird und dort von so profanen, irdischen Gesten, wie Wählerstimmen, weitgehend verschont bleiben möge. :blink:


der seb
26.02.2008, 20:17

Re: grossprojekt: "offener raum" (bild & text)

Also ich muss schon sagen, mir fehlt da etwas die Vereinfachung der deutschen Sprache...

Aber ansonsten wirklich ganz toll, vor allem diese wahnsinnig realistische Darstellung des niedrigsten Energiezustands im Quantenfeld...


olivgrau
26.02.2008, 21:15

Re: spekt

Hallo Klaus.

Danke für die eingebauten Zitate!

"Um dieses Werk exakt beurteilen zu können, müsste man es mindestens drei mal gehört
haben; aber ein zweites Mal höre ich mir diesen Mist nicht an!"

... kam da ebenfalls zum Höhepunkt, als erklärt wurde, die Pause wäre im 3/4 Takt! ...


*rotfl*

ciaOliver


olivgrau
26.02.2008, 21:24

Re: spekt für die Idee!

Lieber Postender!

Also ich bin ja schon erstaunt dass hier jemand Cage kennt. Und das 4'33 mal als Inspiration für einen 1000stein'ler herhalten muss ... wer hätte das gedacht!

Aber direkt vergleichen kann man sie beide wirklich nicht. Installation contra Performance/Konzert/Aufführung.

Was für eincontra-konservatives MOC! Und contra-produktiv!

Sehr amüsant, blümerant nahezu!

Da will ich dochmal mit Cage schliessen!

"Klänge haben kein Ziel!"

ciaOliver


Jojo
26.02.2008, 21:49

Re: grossprojekt: "offener raum" (bild & text)

Hallo!



























































































































































Tschüß
Jojo


Holly Wood
26.02.2008, 23:06

Re: grossprojekt: "offener raum" (bild & text)

» Aber ansonsten wirklich ganz toll, vor allem diese wahnsinnig realistische
» Darstellung des niedrigsten Energiezustands im Quantenfeld...

Richtig muss es: "Unschärfenrelation der Quantenmechanik in korellierenden, subatomaten Strahlenkontraktionen auf der X-Achse bei gleichzeitiger Tendenz um Null minus Eins" heißen. Danke.

w.


Moussie_G
27.02.2008, 00:07

Re: grossprojekt: "offener raum" (bild & text)

Hach, ich kenn das.
Man holt seinen ganzen Legokram aus dem Schrank, stellt alle Kisten um sich herum auf, und weiß einfach nicht was man bauen soll. Aber dass man diese kreative Leere derart aufblasen kann ist mir neu.


Thekla
27.02.2008, 00:24

Re: grossprojekt: "offener raum" (bild & text)

» liebe gemeinde,

Hallo Herr Pastor,

so gesehen kann man den Fussel auf dem Sofa einer intellektuellen Betrachtung unterziehen und sich endlos, unter zu Hilfenahme diverser Zitate, über den Hundehaufen am Baum auslassen.

Ich bin dann doch eher für das pragmatische, simple Bauen mit den Steinen.

Aber meinetwegen.

Zitat Else Kling: "Wenns schee macht!"


Gruß
Thekla


voxel
27.02.2008, 02:24

John Cage / Lego-Hymnen

Moinsen!

» Da will ich dochmal mit Cage schliessen!
»
» "Klänge haben kein Ziel!"

Wer mocct jetzt noch ein praepariertes Klavier?
Hmm. Ich koennte ja mal unseres mit Legosteinen praeparieren, das klingt bestimmt interessant.
Gibt es eigentlich bereits eine Noppingen-, Noppedia-, Brickopolis- (oder wie die Legostaedte so heissen) -Hymne? Oder gar das 1000steine-Lied?


JuergenL
27.02.2008, 14:38

Re: grossprojekt: "offener raum" (bild & text)

Moin,

Aber dass man diese kreative Leere derart aufblasen kann ist mir neu.

ähm... als geneigter Leser dieses Forums sollte dir aber schon aufgefallen sein, daß man wirklich alles bis ins unendliche aufblasen kann...

Gruß
Jürgen


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